Markenboom in Krisenzeiten

Der Boom in der Krise

Heute verabschiedet sich unser Finanzminister aus der Regierung – derselbe, von dem es noch ein legendäres Meme aus Jugendzeiten gibt, das ihn als Möchtegern-Werbeguru mit dem Mindset-Coach-Mantra „Krisen sind nur dornige Chancen“ zeigt. Nun ja, aus den letzten Krisen scheint er samt seiner Partei nicht gerade gestärkt hervorgegangen zu sein, aber warten wir mal ab.

Blickt man auf die letzten zwanzig Jahre zurück, scheinen sich Krisen nahezu abzulösen: Finanzkrise, Corona, Ukrainekrieg – begleitet von Weltuntergangsszenarien und neuen Ängsten. Doch wo liegen eigentlich die Chancen?

Eine klare Beobachtung in Zeiten kollektiver Unsicherheit ist die Rückbesinnung auf das Bewährte. Die Menschen suchen Produkte und Marken, die Standfestigkeit und Sicherheit inmitten des Chaos versprechen. Doch die spannendsten Trends kommen dabei selten aus den Strategieschmieden der großen Branding- und Beratungshäuser. Nein, sie werden von Subkulturen geformt und verbreitet.

Vom glatten Wallstreet-Banker zum Vollbart-Hipster

Die Hipsterkultur der 2010er Jahre ist das beste Beispiel. Nach der Finanzkrise, die die Komplexität unserer globalisierten Welt in einem zerstörerischen Dominoeffekt entblößte, kleideten sich urbane, junge Menschen plötzlich wieder wie ihre Urgroßeltern: extravagant, ironisch und bewusst abgrenzend. Nicht nur modisch, sondern auch in ihren Konsumgewohnheiten. Das Aufblühen von Mikroröstereien, handgemahlenem Kaffee und die Explosion von Craft-Bier-Brauereien begannen als Gegenbewegung zur Vereinheitlichung in den Großkonzernen. Ein Statement: lieber Qualität und Originalität als die ewig gleichen, austauschbaren Massenprodukte.

Vom Lockdown in die Natur

Dann kam Corona, und plötzlich griff die Krise noch direkter in unsere Freiheit und Sicherheit ein. Gefangen im Lockdown waren viele das Peloton und die Yogamatte bald satt und träumten von Freiheit. Raus in die Natur! Nicht unbedingt als Prepper in der Waldhütte, aber zumindest zum Waldbaden oder Bergsteigen – oder zumindest so auszusehen, als könnte man in der Wildnis überleben.

Das Phänomen der perfekt ausgestatteten Touristen aus Kleinstädten, die den Berliner Ku’damm in Gore-Tex und Trekkingstiefeln erobern, ist ein Sinnbild dieser Zeit. Denn inmitten der Metropole gilt: Man weiß nie, wann ein plötzlicher Monsun kommt. Oder die nächste Pandemie.

Dieser Trend hat nicht nur die Outdoor-Marken in die Straßen der Großstadt gespült, sondern sie direkt in die Sphären der High-Fashion katapultiert. Kollaborationen wie die von The North Face und Gucci treffen dabei auf Marken-Ikonen wie Patagonia, die nach wie vor für nachhaltigeren Konsum und Umweltbewusstsein stehen. Und irgendwo dazwischen taucht auch der gute alte Bundesfinanzminister auf, der in der Krise gern eine „Hands-on-Mentalität“ predigt und sich in Hunterboots bei den Bauernprotesten inszeniert. Doch ob es die wirklich braucht?

Hands-on-Mentality und der Workwear-Boom

Apropos praktische Herangehensweise: Workwear erlebt aktuell ein starkes Comeback. Während der klassische Handwerker mit dem Blaumann vorliebnahm, kooperiert die Workwear-Marke Strauss heute mit Metallica, und Arbeitsschutzkleidung hat es bis auf die Bandenwerbung der Bundesliga geschafft. Anders als der Handwerker, der den ganzen Katalog mit Heimklamotten ausstattet (absetzbar über die Firma, versteht sich), greift die Modewelt lieber zu den großen amerikanischen Workwear-Klassikern wie Dickies oder Carhartt. Bereits in den 1990ern boomten diese Marken, dank Skater- und Hip-Hop-Subkultur, die die robuste Qualität und das Preis-Leistungs-Verhältnis zu schätzen wussten.

Doch auch diese Marken haben sich inzwischen paradoxerweise vom Streetstyle der Masse in den High-Fashion-Olymp gewandelt. Kooperationen mit Marken wie Louis Vuitton und Timberland zeigen: Workwear ist nicht mehr nur Arbeit, sondern Luxus.

Fazit: Die Krisenlehre

Was lässt sich also aus den Krisen lernen? Unsicherheiten wecken in uns die Sehnsucht nach Beständigkeit. Doch statt reiner Rückbesinnung erleben wir oft eine romantisierte Nostalgie, die das Praktische ins Theatralische überhöht. Wer sich in Gore-Tex und mit Trinkflasche durch die Großstadt kämpft, obwohl es an jeder Ecke ein Starbucks oder gar Trinkbrunnen gibt, zeigt, wie Krisenzeiten die Lust an der Inszenierung schüren. Bereit sein für den Ernstfall – oder zumindest so aussehen, als könnte man mit einer Axt eine Hütte zimmern. Denn wenn die Krise schon kein Zuckerschlecken ist, dann soll man wenigstens stilvoll durchs Dickicht waten.

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